BahnCard nur in der App: Ich habe ein Smartphone und finde es trotzdem falsch.

Online seit Di 12 Dezember 2023 in blog

Die Deutsche Bahn hat angekündigt [1] [2], ab Mitte 2024 die BahnCard nur noch über ihre DB Navigator App anzubieten. Damit stellt sie Vielfahrer*innen vor die Wahl, ihre proprietäre App voller zahlreicher Tracker zu verwenden oder massiv höhere Fahrtkosten in Kauf zu nehmen.

Diskussionen rund um diese Ankündigung drehten verliefen nahezu allesamt entlang der binären Aufteilung des Smartphones haben oder nicht haben. Es wird als gegeben angesehen, dass alle Menschen mit Smartphone dann auch “die Bahn-App” nutzen wollen, können und sollten; dementsprechend müsse auch nur über jene Menschen diskutiert werden die frei- oder unfreiwillig kein Smartphone nutzen und ja ohnehin mit ihrer Digitalisierungsverweigerung alles aufhielten.

Als jemand der seit über 10 Jahren bereitwillig Smartphones nutzt – allerdings mit dem Nokia N900, dem Jolla Phone und diversen entgoogelten Android-Derivaten auf eher weniger übliche Art – und auch sonst der Digitalisierung nicht abgeneigt ist, möchte ich die Perspektive noch darüber hinaus weiten.
Denn wenig überraschend verbreitet auch der DB Konzern hier wieder die irrige Annahme, dass etwas nur digital(isiert) ist wenn es dafür eine eigenständige App gibt und nur darüber nutzbar ist. Bereits die Diskussion um das explizit als digital angepriesene 49€-Ticket brachte solche Blüten hervor, in denen ein auf Papier ausgedruckter (oder in einem PDF reader angezeigter) Barcode nicht digital genug ist, selbiger Code in der App des Verkehrsunternehmens präsentiert dann aber doch der Gipfel digitaler Innovation ist.
Aus diesem zu kurz greifenden Verständnis resultiert auch folgende Regelung in den bundeseinheitlichen Tarifbestimmungen des Tickets:

Das Deutschland-Ticket kann von den vertraghaltenden Unternehmen, die das Deutschland-Ticket über eine Chipkarte als Trägermedium bereitstellen, vorläufig bis zur Auslieferung bzw. Bereitstellung des digitalen Tickets, längstens bis zum 31.12.2023 als digital kontrollierbares Papierticket (mit Barcode) ausgegeben werden. Ein als Papierticket ausgegebenes Deutschland-Ticket gilt für maximal einen Kalendermonat.

Eine nachhaltige Digitalisierung darf aber nicht nur aus vielen kleinen App-förmigen Strohfeuern bestehen, die jeweils versuchen möglichst viele Nutzungsbereiche an sich selbst zu binden, sondern ist viel mehr eine Frage von Datenformaten und Repräsentation, interoperablen offen spezifizierten Standards, Protokollen und Schnittstellen und dem Möglichkeitenraum, der erst dadurch erschaffen wird.

In der Hoffnung dass irgend jemand mein Geschreibsel dazu auch inhaltserfassend liest – bei den direkten Adressat*innen habe ich da so meine Zweifel – veröffentliche ich anbei meine E-Mail. Eine Nachahmunge sei euch gerne empfohlen.

Updates

2023-12-27

Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) hat sich bereits mit der ausschließlichen Bereitstellung von Smartphone-Apps beschäftigt, allerdings im Kontext der Apps von Krankenkassen oder des Bundes:

Indem die Apps ausschließlich in den Play-Stores der Betriebssystemhersteller Apple und Google angeboten werden, sind die Nutzer gezwungen, deren Nutzungsbedingungen zu akzeptieren. Dies beinhaltet, dass personenbezogene Daten durch die Betriebssystemher- steller verarbeitet werden, die nicht erforderlich sind, um die App zu beziehen. Mindestens die ausschließliche Bereitstellung der Apps über die Apple/Google-Stores verstößt somit gegen Art. 25 Abs. 2 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). […] Ich fordere Sie daher auf, den Nutzern zu ermöglichen, die Apps, die Sie im Rahmen Ihrer Aufgabenwahrnehmung entwickeln lassen und veröffentlichen, auch von alternativen Quellen beziehen zu können.

Mittlerweile haben sich diverse Verbände zum Thema geäußert und den App-Zwang für die Bahncard ebenso kritisiert, natürlich in einer Pressemitteilung als Format nicht so detailliert wie ich hier: Pro Bahn, Verbraucherzentrale NRW, Verkehrsclub Deutschland
Auch gibt es mittlerweile eine Petition von change.org. Ich selbst halte von der Seite zwar nicht mehr viel, wer will kann dort aber unterzeichnen.
Danke u.a. an Christian für die Hinweise.

2024-03-23

TL;DR: Mittlerweile hat sich einiges getan, es wird Barcodes als PDF zum Herunterladen geben.
Nach mehrfachem Nachhakenn hatte ich Mitte Januar 2024 endlich eine inhaltliche Antwort des BahnCard Service bekommen. Darüber habe ich auch in meinem Gastauftritt im Podcast Reboot Politics zu ebendiesem Thema erzählt.
Darin bestätigte die Bahn die oben geschilderten Pläne und verwies auf den »Wunsch unsere Kund:innen […] von einem digitalen Produkterlebnis zu profitieren und zukünftig gleichzeitig klimafreundlich und plastiklos zu reisen«. Dass das ganze ja durchaus anders möglich wäre schilder(t)e ich in meine E-Mail ja ausführlich.
Auch wird erneut darauf verwiesen dass nur ein geringer Anteil an Kund*innen »die gar keinen Zugang zur digitalen Welt haben«. Diese Formulierung ist nicht nur deshalb absurd-unterhaltend weil sie etwas vom 90er Jahre Online sein hat, dazu kommt dass ich meine Ursprungsmail an die Bahn mit meinem akademischen Grad Dipl.-Inf. unterschrieben hatte. Es dürfte also durchaus klar sein, dass ich durchaus »Zugang zur digitalen Welt« habe, nur eben nicht zu jenem Teil in der die DB ihre Dienste ausschließich anbieten will. Ich kritisiere nämlich nicht, dass die DB digitalisieren will, sondern wie: Nämlich mit der Brechstange, in einem abgeschlossenen, proprietären System, das zusätzlich noch an weitere Digitalmonopolisten geboten ist. Genau das habe ich auch in einer Antwortmail noch deutlich gemacht, dazu aber nie eine Rückmeldung erhalten.

Am 13.03.2024 informierte mich der BahnCard Service dann auch offiziell in einer Rundmail mit dem Titel Wichtige Information: Ihre BahnCard wird digital., am Ende der Mail findet sich nach viel Werbung für die DB Navigator App dann:

Ihnen steht kein Smartphone zur Verfügung?

Dann nutzen Sie als Nachweis für die BahnCard das Ersatzdokument, welches Ihnen ab dem 09.06.2024 ebenfalls in Ihrem Kundenkonto unter bahn.de/bcservices als Download zum Ausdrucken zur Verfügung gestellt wird.

Die DB spricht explizit vom ausdrucken, ich werde dennoch mal ausprobieren wie die Akzeptanz beim Vorzeigen auf dem Bildschirm sein wird. Es gibt schließlich keinen guten Grund, dass digital kodierte Barcodes je nach Anzeigemedium unterschiedlich gültig sein sollten.
Allerdings dürfte der Wechsel zwischen 2 PDFs – Fahrkarte und Bahncard – etwas hakelig während der Kontrolle sein. Nicht nur daher ist es tragisch, dass die Bahn hiermit eine minimale Notlösung geschaffen, aber den Einstieg in eine nachhaltige Digitalisierung auf Basis offener Ticketformate willentlich versäumt hat.
Als weiteren Wermutstropfen stellt Julia Witte von digitalcourage auch noch fest, dass nun auch vormalige BahnCard-Inhaber*innen ohne bahn.de Konto ein solches erstellen müssen und in dessen AGBs einen weiteren Nutzungsdatenaustausch erlauben müssen. Persönlich besitze ich so ein Konto allerdings ohnehin.


An: DB Presse <presse@deutschebahn.com>, Bahncard Service <bahncard-service@bahn.de>

Guten Tag,

laut übereinstimmenden Presseberichten hat die DB angekündigt in Zukunft die Bahncards nur noch über die DB Navigator Smartphone Apps anzubieten. Ein genannter Grund ist der Umweltschutz durch das Einsparen von Plastik für die Karten. Sollten Sie dies tatsächlich umsetzen, werden Sie mich als Bahncardkunden verlieren – und das obwohl ich ein Smartphone besitze und Digitalisierung alles andere als abgeneigt bin. Warum denn das? Ich gehe davon aus, dass Sie mittlerweile bereits zahlreiche Nachrichten von Kund*innen ohne Smartphone erhalten haben. Ich hingegen möchte das Rückmeldungsspektrum um Gründe erweitern, warum nicht nur ich die DB Navigator App auf meinem vorhandenen Smartphone weder nutzen kann noch möchte, sondern es auch zahlreiche Situationen und Gründe gibt warum eine reine DB-App Bahncard keine gute Form der Digitalisierung und Nutzer*innenerfahrung ist.

Plastik einsparen: Barcode als Standardformat bereitstellen

Eine sehr einfache Möglichkeit um noch größere Teile der Plastik-Bahncards einsparen zu können: Geben Sie doch die aktuell nur in der App angezeigten Aztec-Barcodes der digitalen Bahncard auch in Standardformaten wie PDF oder anderen Bildformaten heraus, so wie es aktuell bei Fahrkarten der Fall ist. Digitale Zugfahrkarten sind in Europa bereits in Form eines Aztec-Barcodes standardisiert. Alle EVUs können die Ticketdaten aus solchen Barcodes lesen, für ihre eigenen Tickets zum Verkauf erstellen und all diese Barcodes auch fälschungssicher vor Ort kontrollieren. Dabei ist es egal, in welcher Form dieser Code präsentiert wird, ob ausgedruckt oder als PDF auf einem Laptop, eBook-Reader oder Smartphone, oder eben in der DB Navigator App. Die darin kodierten Daten sind dabei immer digital. Nach allem was ich weiß ist auch der in der App präsentierte Code der Bahncard ein solcher Aztec Code, warum diesen also nicht ebenso in mehreren Formaten anbieten wie es bei Tickets der Fall ist? Ich persönlich brauche dann auch keine Plastikkarte mehr.

Im Rahmen einer nachhaltigen und fortschrittlichen Digitalisierungsstrategie sind Bildformate nur der Anfang wenn wir über Standardformate reden, dort würde ich es begrüßen wenn sich die DB in einen offenen Spezifikationsprozess einbringt: Woran es nämlich fehlt ist ein interoperabler, offen spezifizierter Standard über Ticketdaten – also welche Informationen in einem Ticket gespeichert sind und digital ausgeliefert werden – und darauf aufbauend eine Spezifikation, wie diese Daten dann auch dargestellt und ausgespielt werden können. Wir sehen etwa beim 49€-Ticket, dass dies sowohl als grafischer Code (auf Papier oder Bildschirm) oder per NFC (als Chipkarte oder ebenfalls per Smartphone App) kontrolliert werden kann. Dabei handelt es sich im Kern um die selben Fahrkartendaten, nur die Darstellungswege unterscheiden sich. Ein in etwa vergleichbares Beispiel dafür ist die Apple Wallet mit ihren .pkpass Dateien, die allesamt aus verschiedenen Quellen erworben werden und dennoch an 1 Ort gesammelt und angezeigt werden können. Für das .pkpass Dateiformat gibt es auch weitere alternative Apps die diese digitalen Tickets anzeigen können – so richtig offen spezifiziert ist das Dateiformat allerdings nicht, das könnte DB zusammen mit anderen Stakeholdern für Fahrkarten und andere EVU-relevante Tokens besser machen. Die DB kann dafür auch gerne ihre eigene Referenzimplementierung einer App anbieten und in den DB Navigator implementieren. Wichtig ist dabei allerdings, dass die eigentlichen Fahrkartenkerndaten auch außerhalb der App erhältlich sind und in unabhängigen Applikationen verwaltet, organisiert, integriert und angezeigt werden können. Damit kann das Gesamtsystem des öffentlichen und Schienenverkehrs so verbessert werden, dass auch die DB davon profitiert. Fragen Sie mal Ihre OpenData-Expert*innen.

Situative Gründe: Defekte Geräte und Festivalbesuche

Auch Smartphone-Nutzer*innen kommen gar nicht mal so selten in Situationen, in denen eine Nutzung der einen DB-Navigator App auf dem persönlichen Gerät nicht ohne weiteres möglich ist: Smartphones können auf Reisen kaputt gehen oder auch einfach ihre Akkukapazität aufbrauchen. Und wenn das Gerät gestohlen wird, ist damit auch das Ticket erst einmal weg. Noch immer ist es auf Musikfestivals mit Camping gängig, zum Vermeiden der genannten Gründe gar kein Smartphone mitzunehmen oder zumindest noch einen Plan B fürs Ticket zu haben. Ich selbst etwa hatte ein und das selbe Ticket bereits sowohl als PDF auf meinem Smartphone, auf dem eBook-Reader sowie in ausgedruckter Form dabei, in dem guten Wissen dass eine der 3 Varianten mir bestimmt die Rückfahrt ermöglichen wird. Diversität der Darstellungsarten und einfache Kopierbarkeit sind dabei wichtig, denn mehrere Ersatzsmartphones haben die wenigsten auf reisen dabei.

App-Store Verfügbarkeit, AGBs, Gatekeeper und Betriebssysteme

Kommen wir zu meinen persönlichen Geräten und warum ich auf diesen die DB Navigator App nicht nutzen kann: Die DB Navigator App ist aktuell für iOS und Android Geräte jeweils über den Apple App Store, Google Play Store oder Huawei Store erhältlich. Auf meinem aktuell genutzten Smartphone läuft weder iOS noch Android, somit kann ich die DB Navigator App dort nicht nutzen. Und obwohl auf meinem vorherigen Gerät sogar Android lief, war auch dort eine Nutzung nicht möglich: Das Gerät hatte keinen Zugang zum Google Play Store und war auch nie mit einem Google-Konto verknüpft, was aber eben die Voraussetzung für den Download des Navigators sind. An dieser Stelle wird es auch juristisch spannend: Beim Ticket- und Bahncardkauf schließen ich als Fahrgäst*in und die DB ein Vertragsverhältnis, auch muss ich den Beförderungsbedingungen zustimmen. Das ist im Rahmen der Vertragsfreiheit erwartbar und notwendig. Faktisch muss ich als Fahrgäst*in als Vor-Voraussetzung jetzt aber auch noch ein weiteres Vertragsverhältnis abschließen, um überhaupt die Möglichkeit zur App-Nutzung zu haben. Gemeint sind damit Google, Apple oder Huawei, die eigentlich keine direkt am Beförderungs- und Buchungsvorgang beteiligte Partei sind, deren AGBs ich aber dennoch zwingend akzeptieren muss. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass so eine zwingende Kopplung von durch mich einzugehenden Vertragsverhältnissen legal ist. Denn nicht nur muss ich in den zu akzeptierenden AGBs zB Google Rechte zugestehen, die weit über die reine Nutzung des DB Navigators hinausgehen; auch sind Google und Apple von der EU Kommission als Gatekeeper im Rahmen des Digital Markets Act (DMA) definiert, womit besonders hohe Hürden an die Nutzungskopplung von Diensten gestellt werden.

Auch an der DB Navigator App selbst gibt es immer wieder Kritik: Am Landgericht Frankfurt am Main ist aktuell eine Klage gegen die DB anhängig, die Kläger*in wirft der Deutschen Bahn einen Verstoß gegen die DSGVO vor. Nun werden Sie sicherlich sagen dass diese Klage unbegründet sei. Sollten vorsichtige Kund*innen dennoch die gerichtliche Klärung abwarten wollen, könnten sie mangels Alternative in Zukunft so lange ihre Bahncard nicht nutzen. Beachten Sie bitte auch, dass es in sensiblen Wirtschaftsbereichen durchaus unternehmensintern noch striktere Datenschutz- und Sicherheitsregeln geben kann, die den Einsatz bestimmter Apps durch Angestellte bis zur Ausräumung eines begründeten Verdachts untersagt. Auch die Barrierefreiheit der DB Navigatorapp schwankte in der Vergangenheit massiv. Und selbst bei großen Entwicklungsanstrengungen zur Barrierefreiheit gibt es mitunter widersprechende Anforderungen zur Bewältigung der Einschränkungen betroffener Menschen, innerhalb einer einzelnen alternativlosen App kaum zu vereinbaren sind. Auch dort können offene Spezifikationen die Entwicklung von jeweils passgenaueren, auf die jeweilige Einschränkung optimierten Alternativlösungen ermöglichen.

Im Übrigen bin ich auch mit jenen solidarisch, die im Gegensatz zu mir die DB App nicht nutzen können weil sie kein Smartphone haben. Auch diese Menschen sollten regelmäßig und günstig auf der Schiene mobil sein können.

Ich hoffe dass Sie Ihre Ankündigung noch mal überdenken, ich weiterhin die BahnCard nutzen kann und die DB ihre Digitalisierung hin zu einem wirklich fortschrittlichen, offenen und kooperativen Ansatz umstellt.

Bei Fragen kommen Sie gerne auf mich zurück.

Mit freundlichen Grüßen